Marktgemeinde Kraubath an der Mur

Geologie

Die naturkundliche Einzigartigkeit der Gulsen führte unter anderem dazu, dass am Südhang zwei Areale als Naturschutzgebiet ausgewiesen wurden. Da diese Flächen infolge ihrer Steilheit und der schweren Zugänglichkeit in einem sehr naturnahen Zustand erhalten geblieben sind, wurden diese im Jahr 2006 zum Europaschutzgebiet Nr. 5 (Gebietsname: Ober- und Mittellauf der Mur mit Puxer Auwald, Puxer Wand und Gulsen) ernannt.

 

Geologisch gesehen gehören die eindrucksvollen Felshänge der Gulsen der unteren Gleinalpenschieferhülle an. Den Ausgangspunkt dieses Sonderfalls bildet ein Peridotitgestein, welches vulkanischer Herkunft ist, das jedoch noch im Erdinneren erstarrte und später im Zuge einer Metamorphose zu Serpentiniten umgewandelt wurde. Lange Zeit glaubte man, dass diese Gesteinsserie (auch als Ultramafitmassiv bezeichnet) über einen sehr einheitlichen Aufbau verfüge, der nur von vereinzelt auftretenden, epigenetischen Magnesitkörpern und Bronzititen unterbrochen wird. Jüngere Untersuchungen zeigen hingegen ein differenzierteres Bild.

 

Der gesamte Serpentinzug erreicht eine Länge von 13 km, sowie eine Breite von 2 km und erstreckt sich vom Raumberg bei Feistritz beginnend über den Gulsenberg, weiter über den Au-, Winter- und Sommergraben hin zum Nissenberg östlich des Tanzmeistergrabens und endet letztlich im Bereich des Matzlerberges und Schrakogels in der Vorderlainsach. Weiter östlich taucht dieser Serpentinzug in die Tiefe ab und ist oberflächlich nicht anzutreffen. Begrenzt wird diese Masse im Norden von überwiegend sauren, kristallinen Schiefern (Quarzgneise bis glimmerreiche Gneise) und im Süden von massigem, zumeist geschiefertem Amphibolit.

Mineralogie

Auf die tektonische Beanspruchung des Gesteinskörpers weisen das ihn durchsetzende Kluftnetz sowie die streifenweise auftretende Zone geschieferten Gesteins hin. Eine SE– NW streichende Bruchlinie tritt besonders im Bereich der Steinbrüche Gulsen und Preg zutage, sodass diese Gesteinsmasse deutlichen Deformationen unterliegt. Durch die tektonische Beanspruchung des Gesteinskörpers entstand ein Kluftnetz, wobei in diesen Störungen Thermalwässer und Säuerlinge aufsteigen konnten. Dies führte zur Ausbildung von Mineralien, deren Einzigartigkeit schon Anfang des 19. Jahrhunderts entdeckt wurde. Die Vielzahl an Mineralien hängt mit der Metamorphose und den verschiedenen Bedingungen in den jeweiligen Bildungsphasen zusammen. Besondere Berühmtheit erlangten die in Würfel auftretenden Magnetitkristalle aus der Gulsen. Mit einem derartigen Gastgeschenk aus Kraubath haben die k. u. k. Monarchie und Kaiser Franz Joseph versucht, den russischen Zaren für die Monarchie gütig zu stimmen. Diese stammten aus der Sammlung Erzherzog Johanns, von denen einige wenige Restexemplare noch im Landesmuseum Joanneum erhalten geblieben sind.

Darüber hinaus zählt dieses Serpentingebiet weltweit zu den wenigen Stätten, an denen beinahe alle basischen Magnesium-Carbonate auftreten. In besonders guter Ausbildung sind hier Artinit und Hydromagnesit hervorzuheben. Zu den in jüngerer Zeit aufgefundenen Raritäten zählen Mcguinnessit, Nakauriit und Callaghanit. Diese Tatsache wird dadurch bestätigt, dass Kraubath erst die weltweit zweite Fundstelle von Nakauriit und die dritte von Mcguinnessit ist.

 

Insgesamt kann bei der Entstehung der einzelnen Mineralien von acht unterschiedlichen Bildungsphasen ausgegangen werden. Die erste Phase wird als Peridotit-Pyroxenitphase bezeichnet, in der es unter anderem zur Bildung von Olivin und Chrom kam. In der zweiten Chrysotilphase wurde Olivin in Chrysotil, Lizardit und bereichsweise Brucit umgewandelt. In der dritten bildete sich Chrysotil in Gesteinsklüften aus. Die vierte Phase – auch Kluftantigoritphase genannt – war von der Umwandlung des Olivin in Antigorit entlang von Spalten gekennzeichnet. Zudem bildeten sich unter anderem Tremolit, Smaragdit, Talk, Magnetit, Zirkon, Apatit und Chalkosin. In der fünften Magnesitphase erfolgte die Entstehung von kryptokristallinem Magnesit. Die sechste Brucitphase war gekennzeichnet durch die Bildung von Brucit in Klüften, weiters von Aragonit und Artinit sowie von Hydromagnesiten. In der vorletzten Phase konnten sich durch das Aufsteigen mineralhältiger Wässer Quarz, OpalCT, Aragonit und etwas Calcit und Dolomit ausbilden. Die achte und letzte Phase umfasste die rezenten Bildungen, wie jene von Hydromagnesit, Mcguinnessit, Callaghanit, Nakauriit, Zaratit und Cuprit.

 

Flora

Die pflanzengeografische Bedeutung der Gulsen, für die Föhrenwälder, Erikaheiden und Trockenrasen typisch sind, geht bis in das Pleistozän zurück. Da dieser Raum während der verschiedenen Kaltzeiten nicht vergletschert war – der Murgletscher reichte in der Würmkaltzeit bis nach Judenburg  – hielten sich zu den klimatisch äußerst ungünstigen Zeiten auf der Gulsen Föhrensteppenwälder und Steppenheiden, während anspruchsvollere Holzarten wie Fichte, Tanne und Buche aus dieser Region verschwanden. Auf dem trockenen und unfruchtbaren Serpentinboden konnten daher Arten, die diesen Verhältnissen nicht angepasst waren, nicht konkurrieren. Deshalb zählt die Vegetation des Serpentinzuges zu den Überresten einer früheren Zeit (Reliktgesellschaft der Buchenstufe), die sich heute aus einem tertiären Grundstock, den Paläoendemiten, und quartären Zuzüglern zusammensetzt.

 

Ausgangsbasis für die besondere Pflanzendecke ist das Serpentingestein, das durch die physikalische und chemische Verwitterung des vorhandenen Magnesiums, weiters durch das Vorhandensein von giftigen Schwermetallionen (Chrom, Nickel, Kobalt) und durch den Mangel an Kalzium und anderen wichtigen mineralischen Nährstoffen wie Kalium, Phosphat und Stickstoffverbindungen, einen humusarmen, trockenen Rohboden schafft, der trockenheitsertragende Pflanzen begünstigt. Die Fähigkeit von Serpentin, sich rasch zu erwärmen, führt zu großen Temperaturschwankungen im Tages- und Jahresverlauf, wodurch die physikalische Verwitterung gefördert wird. Auch das kontinentale Klima mit seinen geringen Niederschlagsmengen spielt bei der Ausbildung von diesen xerophilen Pflanzenarten eine entscheidende Rolle. Die Sonneneinstrahlung bewirkt darüber hinaus, dass vor allem in den südexponierten Hängen der Gulsen der Boden stark erwärmt wird und es kleinräumig zu gravierenden Unterschieden im Mikroklima kommen kann. So ergaben Temperaturmessungen von Herbert Muntean, dass zwischen dem Süd- und dem Osthang ein Temperaturgefälle bei den Bodendurchschnittstemperaturen von bis zu 10 K erreicht wird (Messperiode Mai/Juni: S-Hang: 17,6°C, E-Hang: 8,4°C). Die Bodenoberflächentemperatur überstieg mehrfach die 50°C Marke. Auch die Lufttemperatur in Bestandshöhe kletterte an mehreren Strahlungstagen über 40°C. Dazu lag der Wert der relativen Luftfeuchtigkeit extrem niedrig – in Bestandshöhe zwischen 12 und 20%. Aufgrund seines hohes Skelettbodenanteils kann im den südlichen Regionen der Gulsen der Boden kaum Wasser speichern, was zu einer weiteren Verschärfung der Trockenheit führt. Daher gedeihen die hier vorkommenden Pflanzen zumeist nur in niederliegender Wuchsform.

 

Zu den für dieses Gebiet signifikanten Pflanzengesellschaften gehört der Rotföhren-Schneeheide-Wald (Pino-Ericetum gulsenense), der zu den Reliktföhrenwälder der Ostalpen gerechnet wird. Der Charakterbaum des Serpentinbodens, die Rotföhre (Pinus sylvestris), stellt kaum Ansprüche an den Wasserhaushalt und kommt sowohl auf Sumpfböden als auch auf Trockenstandorten vor. Dieser Baum kann als Lichtholz jedoch nur dort überleben, wo für die anspruchvolleren Schattholzarten der Boden zu schlecht ist. Im Unterwuchs wird die Rotföhre vornehmlich von der Schneeheide (Erica herbacea) begleitet. Diesem frostempfindlichen und trockenheitsliebenden Gewächs begegnet man hingegen an waldfreien Stellen nur selten. Bereits im Jänner, Februar beginnt die Erika zu blühen und erreicht im März die Vollblüte, sodass ein roter Teppich das Landschaftsbild prägt. Daneben kommt in der Krautschicht auch der Behaarte Ginster (Genista pilosa) vor. Eine Besonderheit für diese Standorte ist auch das kleinräumige gemeinsame Auftreten von Säure- und Basenanzeigern. Während die Schneeheide, die hauptsächlich im Kalkgebirge auftritt, ein Basenanzeiger ist, verweist das im August blühende Heidekraut – oder auch Besenheide genannt  – auf saure Böden.

 

Als Trockenrasengesellschaft tritt das Festucetum glaucae-longifoliae gulsenense auf, dessen Entwicklung erst durch den Menschen bedingt wurde. Die Schwingel-Steppengesellschaft etablierte sich auf den Serpentinfelsen nach der Rodung des Waldes und der Beweidung durch Ziegen. Für sie sind xerotherme Pflanzen mediterraner und östlicher Herkunft wie die Serpentinnelke (Dianthus capillifrons) und die Gemeine Grasnelke (Ameria elongata) eigentümlich. Infolge von Kahlschlägen kam es ferner zur Ausbildung des Steirischen Rispengrases (Poa stiriaca). In den Gräben und Rinnen der Gulsen-Südabdachung, wo an verschiedenen Stellen Quellen den Boden feucht halten, entstand ein sogenannter Rohrschwingelrasen (Festucetum arundinaceae).

 

Auf den nackten, steilen Felsen der Gulsen wächst hingegen ein offener Trockenrasen (Asplenietum serpentini gulsenense), deren Pflanzen einzeln oder in Felsspalten vorkommen. Als Vertreter dieser Trockenrasengesellschaft zählen unter anderem der Serpentinstreifenfarn (Asplenium serpentini), der Grünspitzige Streifenfarn (Asplenium adulterinum), und der in der Steiermark nur auf der Gulsen vorkommende Europäische Pelzfarn (Notholaena marantae). Die Blätter des Serpentin-Streifenfarn werden rund 20-30 cm lang, sind dreieckig-eiförmig bzw. dreifach gefiedert und überwintern nicht. Die Blattabschnitte haben ein eiförmiges oder lanzettliches Erscheinungsbild. Man findet diese Pflanze nur auf Serpentin und Magnesit, meist in Felsspalten und an steinigen, bewaldeten Hängen. Auf der Gulsen wächst dieser Streifenfarn hauptsächlich im Bereich des Mittagkogels. Beim bis zu 20cm kleinen Europäischen Pelzfarn hingegen überwintern die Blätter. Diese sind doppelt gefiedert, lederig, oberseits dunkelgrün, unterseits dicht mit glänzenden, anfangs weißlichen, später rostbraunen Spreuschuppen besetzt. Dieser Farn ist insbesondere in den warmen, sonnigen und trockenen Südhängen der Gulsen verbreitet. Der aus dem mediterranen-südwestasiatischen Gebiet kommende Europäische Pelzfarn ist ein Xerophyt – eine nur trockene Standorte besiedelnde Pflanze – und  kommt in den Ostalpen nur auf der Gulsen und darüber hinaus in Aggsbach, unweit von Melk, vor. Die herausragendste floristische Erscheinung ist die hier endemische Pittonis Hauswurz (Sempervivum Pittonii). Diese nur  auf der Gulsen heimische Pflanze kann man bloß an wenigen Stellen – insbesondere an den Steilhängen und in den Wänden – antreffen. Diese besitzt im gesamten mitteleuropäischen Raum keine näheren Verwandten.

 

Auf der Gulsen kommen aber noch weitere interessante Pflanzen, wie die buchsblättrige Kreuzblume (Polygala chamaebuxus) oder das Serpentin-Vergißmeinnicht (Myosotis stenophylla) vor. Aber auch Orchideenarten – wie der Rote Waldstendel (Epipactis atrorubens) oder sehr lokal auch das Rote Waldvögelein (Cephalanthera rubra) – sind auf der Gulsen heimisch. Im Frühjahr verwandelt das Sand-Fingerkraut (Potentilla arenaria) und der Goldlack die Steppenwiesen in leuchtendes Gelb, während diese im Sommer durch den Deutschen Backenklee (Dorycnum germanicum) weiß erscheinen. Neben der Serpentingrasnelke ist vielfach auch die tiefrote Karthäuser-Nelke (Dianthus carthusianorum) auf der Gulsen anzutreffen.

Fauna

Neben den pflanzlichen Raritäten finden sich hier aber auch nur an diesem Ort anzutreffende Schmetterlinge und Falter. Zu diesen zählt die Zackeneule (Scoliopteryx libatrix L.), ein Nachtfalter, der in alten Stollen und Höhlen überwintert. Auf den Wiesen innerhalb der Föhrenwälder kann man auch auf das Widderchen, oder auch Blutströpfchen (Polymorpha transalpina gulsensis) genannt, treffen. Dieser tagaktive Nachtfalter zählt zu den Besonderheiten der Gulsen. Die Trockenrasen der Gulsen wiederum besiedelt gerne der sogenannte Schmetterlingshaft, ein sehr flüchtiges, räuberisches Insekt, während in den Rotföhrenwäldern auf eine spezielle Spannerart, dem Gnophos intermedia gulsensis gestoßen werden kann. Auch das Blaue Ordensband, den größten heimischen Eulenfalter (80mm) kann man in der Gulsen antreffen. Ebenso zählt das kleine Nachtpfauenauge (Augenspinner) zu den Bewohnern der Gulsen. Die Weibchen, die größer sind als die Männchen, bleiben tagsüber ruhig sitzen und fliegen nur in der Nacht aus, während ihre männlichen Kollegen tagaktiv sind. Insgesamt sind rund 50 verschiedene Schmetterlingsarten, deren Lebensgrundlage die seltenen Gulsenpflanzen darstellen, in diesen Berghängen beheimatet.

 

Neben den Schmetterlingen begegnet man gelegentlich auch der rund 75 cm langen Glatt- oder Schlingnatter. Diese ungiftige, harmlose und sehr scheue Natter ist in der männlichen Ausgabe braun bis rotbraun gefärbt, während das Weibchen eher grau oder braunschwarz auftritt. Auf ihrem Speiseplan befinden sich hauptsächlich Eidechsen und Mäuse, die vor dem Verzehr durch Umschlingen getötet werden. Seit rund 25 Jahren kann man mit etwas Glück auch wieder einem Mufflon begegnen. Diese sehr scheuen, aber mit scharfen Sinnen ausgestatteten Tiere waren nach der Eiszeit vermutlich auch in diesem Gebiet heimisch. Ihr Bestand in Europa reduzierte sich jedoch sehr rasch, sodass nur mehr auf einigen Inseln (Korsika, Sardinien, Zypern) kleinere Restbestände übrig blieben. Erst im 19. Jahrhundert wurde das Mufflon wieder in Mitteleuropa angesiedelt. Heute gibt es auf der Gulsen einen Bestand von rund 20 Tieren. Aufgrund der guten Lebensbedingungen kam es vor, dass sich bei den Mufflonfamilien sogar zweimal im Jahr Nachwuchs einstellte, sodass ihre Population zwischenzeitlich auf mehr als 40 Tiere anstieg, was jedoch zu vermehrten Schäden an den Kulturen führte. Daher wird heute mit waidmännischem Geschick danach getrachtet, den Mufflonbestand in der Gulsen konstant zu halten. Mit einem bis zu 5 kg schweren, mächtigen und schneckenartig gewundenen Gehörn ist der Widder ein stattliches Tier und daher auch ein begehrtes Jagdwild.